Halte ich für ein großes Gerücht. Denn ich habe einige “Präzedenzfälle”, die genau das Gegenteil bestätigen.
Fall 1:
Meine Mutter “erbte” voriges Weihnachten das alte Notebook meines jüngeren Bruders, der zu Weihnachten ein neues Gerät bekam. Das Notebook, das meine Mutter vorher im Einsatz hatte, hatte seine besten Tage schon lange gesehen und musste dringend ausgetauscht werden. Dem Notebook meines Bruders, ein Asus aus der A6000-Serie mit Pentium Mobile CPU mit 1,73 GHz und 1 GB RAM, lag beim Kauf, wie leider üblich, eine Lizenz für Windows XP bei. Nach dem Tausch installierte ich Windows XP komplett neu und versah das System auch gleich mit den notwendigen Zusatzanwendungen, also dem OpenOffice.org, einem PDF-Writer (PDFCreator), dem Acrobat Reader, Firefox und Thunderbird fanden ebenfalls ihren Weg auf die Festplatte des Geräts. Damit waren die notwendigen Anwendungen für meine Mutter auch schon vollständig. Das System lief dann einige Monate, ohne großartige Supportanrufe aus dem Hause meiner Eltern. Bis eines schönen Tages der Anruf kam: “Sohn, mein Notebook geht nicht mehr”. Typische Aussage eines DAU. Ich setze mich also ins Auto und schaue mir das Gerät an: Windows XP startet nicht mehr, moniert fehlende Systemdateien. Kein Problem, Windows-XP-Reparaturinstallation angeschubst, Systemdateien ausgetauscht, kurzer Funktionstest, Abflug. Zwei Wochen später wieder das Gleiche. Gut, dachte ich mir, installiere ich einfach mal Windows Vista. Testhalber habe ich dafür eine meiner MSDN-AA-Lizenzen verwendet. Sicherheitshalber habe ich noch ein kleines RAM-Upgrade auf 2 GB vorgenommen und gut sollte sein. Das System lief dann wieder wenige Monate, bis der Gau eintrat. Der sah dieses Mal so aus, dass das Bild nur noch aus Streifen bestand. Ursache war ein defekter Treiber für die verbaute ATI Radeon Mobility x700, der über das Windows Update herein kam. Über einen Wiederherstellungspunkt konnte ich das System wieder zum Leben erwecken. Dummerweise, beziehungsweise eigentlich auch nicht, führte meine Mutter das folgende Update wieder aus, mit dem gleichen Ergebnis: ein dezent streifiges Bild. Leider gibt es keine Möglichkeit, Windows Update zu sagen, dass es gewisse Updates auslassen soll. Nach ein paar Überlegungen entschloss ich mich dazu, meiner Mutter Ubuntu 8.04 zu installieren. Die Installation verlief absolut reibungslos, sämtliche Hardware, bis auf die ohnehin von meiner Mutter nicht benötigte im Notebook verbaute Webcam, wurde auf der Stelle erkannt. Kurz noch ihre eigenen Dateien, Firefox-Lesezeichen und Thunderbird-Daten migriert. Fertig. Und ratet mal… genau, seit dem läuft das Notebook stabil (Installationsdatum: ca. April diesen Jahres, also kurz nach Erscheinen der 8.04) und meine Mutter hat mich kein einziges Mal angerufen, weil sie irgendwas nicht finden konnte oder irgendwas nicht lief.
Fall 2:
Eine sehr gute Freundin war auf einmal in der Situation, keinen Rechner mehr in der Wohnung zu haben, da ihr Ex-Freund den Rechner beim Auszug mitgenommen hat. Es musste also schnell ein neuer her. Meinen Rat, den Rechner bei Dell zu bestellen, schlug sie leider aus, es sollte einer von Kosatec werden. Also habe ich ihr einen günstigen Mittelklasserechner mit Zweikern-CPU von AMD, 2 GB RAM und Desktop-Grafikkarte (Radeon 3850, wenn ich mich nicht ganz irre) zusammengestellt, ohne Betriebssystem. Nach den positiven Erfahrungen bei meiner Mutter schlug ich ihr vor, doch die Lizenzkosten für Windows zu sparen, da sie aufgrund der vielen negativen Erfahrungen im Bekanntenkreis kein Windows Vista haben wollte, ich es aber als blödsinnig ansah noch Geld für das total veraltete Windows XP auszugeben. Sie hat sich dazu überreden lassen. Wenn ich nicht ganz irre, hat sie ihren Rechner Mitte Juni diesen Jahres bekommen, seit dem läuft Ubuntu 8.04 auf der Maschine, ohne Probleme. Das einzige Problem war das fehlende Java-Plugin für den Firefox, da ich dummerweise unbedingt die 64-Bit-Version von Ubuntu installieren musste. Und für ebendiese gibt es weder Flash noch Java für den Firefox. Aber es gibt genügend Möglichkeiten, die 32-Bit-Versionen der genannten Plugins zu installieren. Also war auch dieses Problem recht schnell behoben. Seitdem läuft das System stabil. Ihr etwas betagter HP-Drucker lief nach Anschluss sofort, wurde also ohne mein Zutun sofort erkannt und lief out-of-the-box. Und der 3D-beschleunigte Treiber konnte ohne Probleme über die Hardwareverwaltung installiert werden, aus lizenzrechtlichen Gründen muss dem aber explizit zugestimmt werden.
Fall 3:
Eine weitere Freundin ruft mich an, dass sie gern mit ihrem etwas älteren Acer-Notebook ins Internet möchte, aber nicht genau weiß wie, warum und überhaupt Ich habe mir dann bei ihr vor Ort angeschaut, was die Infrastruktur so sagt und festgestellt, dass gar kein Access Point vorhanden ist. Das Problem wurde flugs behoben, das Notebook bekam eine vorher organisierte PCMCIA-Karte spendiert und alles sollte gut werden. Sollte… denn als ich ihre Windows-XP-Installation auf den neuesten Stand bringen wollte, fror das Notebook mehrfach unerklärbar ein. Ein geschultes Ohr hörte dann irgendwann ein unangenehmes Klacken von der verbauten Festplatte. Diagnose: Festplattentotalschaden. Alle Rettungsversuche scheiterten leider. Ich nahm das Notebook mit, bestellte für rund 50,- EUR eine 120 GB große Notebookfestplatte von Western Digital und verbaute diese. Eigentlich wollte ich wieder Windows XP installieren, da zu dem Notebook eine entsprechende Lizenz gehörte. Da ich Dussel aber ständig meine Windows-CDs verlege, kam es nicht dazu. Ich installierte eigenmächtig, angespornt von zwei positiven Erfahrungen, Ubuntu auf dem Notebook. Auch hier wurde wieder alles an Hardware einwandfrei erkannt. Bis auf die neu erworbene PCMCIA-WLAN-Karte. Aber auch hier war schnell Rettung in Sicht: der ndiswrapper, den ich binnen Sekunden über die Paketverwaltung von Ubuntu installieren konnte. Mit dessen Hilfe konnte ich den Windows-Treiber der Karte unter Linux benutzen, da es bisher anscheinend noch niemand geschafft hat, einen funktionierenden Treiber für die Karte zu schreiben. Für den Fall, dass jemand das Problem auch hatte, es handelte sich dabei um eine Allnet ALL0262R, die ich für sagenhafte 13,- EUR erstanden habe. Mittels des ndiswrappers war auch dieses Gerät kooperativ. Seit der Aushändigung des Geräts vor wenigen Wochen habe ich keinen einzigen Hilferuf erhalten.
Fall 4:
Auch wenn es vielleicht nicht ganz repräsentativ ist, auch ich nutze Ubuntu produktiv auf meinem Zweitnotebook, einem Acer Extensa 5220, aufgerüstet auf 2 GB RAM. Dadurch, dass ich dieses Gerät u.a. auch für Schulungen nutze, habe ich natürlich das eine oder andere Mal auch einen Beamer anschliessen müssen: tadellos. Ubuntu 8.04.1 erkannte sämtliche verbaute Hardware, bis auf die WLAN-Karte, die stand aber nach dem ersten Update der kernel-modules ebenfalls zur Verfügung. Die 3D-Effekte laufen auf dem schwachbrüstigen integrierten Grafikchip tadellos. Bei der täglichen Arbeit mangelte es mir an nichts, im Gegensatz zu den drei zuvor genannten Fällen beschränkte ich mich aber nicht auf die normale Office-Arbeit. Für alle Anwendungszwecke fand ich adäquate Anwendungen.
Fall 5:
Ein Bekannter, der auf seinem ca. zwei Jahre alten Samsung-Notebook Ubuntu 8.04 installierte. Bis auf den Kartenleser lief alles sofort. Leider habe ich den Kartenleser bis heute nicht ans Laufen bekommen. Vor wenigen Tagen habe ich mir aber ein Herz gefasst und einen Eintrag im Forum der Ubuntu-User erstellt. Vielleicht wird uns ja da noch geholfen. Im Übrigen ein riesengroßer Vorteil von Linux: eine gigantische Community. Und gerade bei Ubuntu ist diese auch sehr aktiv und hilfsbereit. Aber auch dieser Bekannte hat sich bisher äußerst selten an mich gewandt. Witzigerweise häufiger als die Frauen… aber dazu gleich mehr.
Fall 6, etc.:
Auch im Kreis meiner Kommilitonen (ja, ihr erinnert euch richtig, ich studiere Informatik) habe ich es endlich geschafft, einige von den Vorzügen von Linux zu überzeugen. Einige von denen legten eine gewisse Selbstständigkeit an den Tag und stellten nur vor der Installation einige grundlegende Fragen. Andere hingegen waren nicht ganz so eigenständig, aber man hilft ja gern. In einem dieser Fälle erkannte Ubuntu leider den Bildschirm nicht korrekt und konnte nicht über eine Auflösung von mehr als 800x600 hinaus gehen. Nach ein wenig gehacke in der xorg.conf war aber auch das Problem verschwunden. Als dann einige Wochen später sein Internetzugang nicht mehr lief, machte er fälschlicherweise Linux dafür verantwortlich und installierte Windows XP… mit dem Ergebnis, dass sein Internetzugang dadurch auch nicht wieder aktiv wurde Im Endeffekt hatte die Netzwerkkarte Schuld. Aber man will ja nicht auf mich hören. Bei einem anderen habe ich Stunden investiert, Ubuntu mit einem verschlüsselten LVM auf einem etwas älteren Thinkpad zu installieren. Da der junge Mann mit dem System nicht zurecht kam, tauschte er es aber kurzerhand wieder gegen XP aus. Ohne Worte…
Fazit:
Das Vorurteil, Linux eigne sich nicht für den Desktop, sollte man ganz schnell beiseite legen. Sicherlich, geht es um Spiele oder Spezialanwendungen, kommt man weiterhin nicht um (zumindest ein virtualisiertes) Windows herum, aber für (nicht-Microsoft-)Software- und Webentwickler und Bürohengste ist wenigstens Ubuntu eine kostenlose und probate Alternative zu Windows, zumal XP total veraltet und Vista ein ressourcenfressendes Schwein ist. Jeder, der mehr weiß als nur, wie man einen Computer anschaltet und wo der Unterschied zwischen der linken und rechten Maustaste liegt, sollte sich Ubuntu wenigstens mal ansehen. Wie man in letzter Zeit immer wieder sehen kann, eignet sich Linux aber mittlerweile auch hervorragend für Audio- und Videoschnitt und professionelle 3D-Produktionen.
Ironischerweise kommen gerade die Menschen, die sich nur oberflächlich mit Computern befasst haben, also das Gerät nur als Mittel zum Zweck sehen, surfen und Briefe schreiben wollen, deutlich besser mit Ubuntu klar als diejenigen, die etwas intensiver mit dem Thema Computer verbandelt sind. Ich finde die Benutzerführung von Gnome deutlich besser als die von Windows, sehr viel intuitiver, was sich genau bei den Menschen bemerkbar macht, die mit Windows total überfordert sind. Sollte einer meiner Leser also planen, seiner Mutter, dem Großvater oder sonst wem einen Computer hinzustellen, der vorher quasi nichts mit der Materie zu tun hatte, sollte er Ubuntu ernsthaft ins Auge fassen. Gerade für Einsteiger scheint das System prädestiniert zu sein.